Rhein-Lahn. Er weiß noch genau, wo er fürs Osternest Moos gesammelt hat, sieht, wenn der Nachbar ein Ersatzrad am Auto montiert hat, erkennt, wenn der Schreibtischstuhl nicht an seinem eigentlichen Platz steht. Rico ist ein pfiffiger Junge voller Lebensfreude. Doch die Momente, in denen es dem Vierjährigen schlecht geht, überwiegen. Er ist auf dem Stand eines Zweijährigen, hat frühkindlichen Autismus und leidet unter Intelligenzminderung. Der kleine Mann braucht die volle Aufmerksamkeit seiner Mama Angelina Bergmann – und das 24 Stunden an sieben Tagen die Woche. Die Alleinerziehende weiß: Wenn das so bleibt, schafft sie es nicht. Hier kommt HELFT UNS LEBEN (HUL), die Hilfsorganisation unserer Zeitung, ins Spiel. Vorsitzende Manuela Lewentz-Twer und Geschäftsführer Hans Kary besuchten jetzt die Familie, um sich ein Bild von deren Situation in Obernhof zu machen.
Wie prekär die Situation tatsächlich ist, wird durch die Erzählungen Angelina Bergmanns schnell deutlich. Die 28-jährige Mutter kann mit ihrem Sohn praktisch nirgendwo hingehen, ohne dass sich nicht mindestens eine Person gestört fühlt. Gerade in der Arztpraxis angekommen, fängt der Junge an zu schreien, dauert es zu lang an der Fleischtheke im Supermarkt, schlägt er plötzlich um sich, sind die beiden gerade auf dem Spielplatz angekommen, möchte er wieder nach Hause. „Rico kann keine Reize filtern, vor vielen fremden Leuten hat er Angst, gerade vor Kindern“, sagt Mama Angelina und erklärt, dass viele Leute darauf mit Unverständnis reagieren und sie beschimpfen oder wegschicken.
Die Situation isoliert die Familie mehr und mehr. Teils fühlt sich Angelina Bergmann alleingelassen. Das erkennt auch Manuela Lewentz-Twer und drückt ihr Mitgefühl aus, während sie Rico liebevoll den Arm streichelt: „In meinen Augen scheint es wichtig zu sein, auch für Sie kleine Freiräume zu schaffen.“
Schnell wird deutlich, dass das Angelina Bergmann nicht macht – und nicht kann. Denn niemand hat genügend Kraft, um den Jungen mal einen Tag lang zu betreuen. Ihr Vater ist gestorben, ihre Mutter gesundheitlich angeschlagen. Einen Partner gibt es im Leben der jungen Frau nicht. Zumindest ihre Schwester oder eine Freundin können Rico mal für ein, zwei Stunden nehmen. Ihren Sohn in eine 24-Stunden-Betreuung zu geben, das kommt für die 28-Jährige nicht infrage. Eine passende Betreuung für Kinder mit einem solchen Krankheitsbild gebe es ohnehin nicht in der Nähe. Und für die Mutter steht fest: „Ich werde mein Kind nicht weggeben. Ich möchte das Leben mit meinem Kind zusammen schaffen.“ Als wäre die Situation nicht schon schlimm genug, schlagen viele der Medikamente, die der blonde Junge bekommt, auch nicht (mehr) an. Zudem werden die Abstände größer, bis er gewisse Dinge allein schafft.
Windeln wechseln, Zähne putzen, waschen, füttern: Für die Alleinerziehende ist dies alles sehr anstrengend, erzählt sie. Denn vieles mag Rico so gar nicht leiden, entwickelt eine enorme Kraft, wenn er sich wehren möchte. Angelina Bergmann hat kürzlich Pflegestufe 4 für ihren Sohn beantragt. Ein schwerer Schritt, aber die verzögerte Entwicklung von Rico lässt ihr keine andere Wahl. „Es hat ewig gebraucht, bis Rico allein Pipi machen konnte“, erzählt die Powerfrau verzweifelt.
Immerhin sei der ältere Nachbar von unten sehr kulant, obwohl er wirklich alles mitbekommen würde, wenn der Vierjährige mal wieder laut wird. Manuela Lewentz-Twer macht der Mutter Mut: „Vielleicht hilft es zusätzlich, wenn Sie Ihr Umfeld über Ihre Situation informieren. Dadurch wird es oftmals besser.“
Vor Kurzem wurde zudem Diabetes Typ 1 bei der 28-Jährigen diagnostiziert. Bis zuletzt arbeitete sie als Mediengestalterin 30 Stunden die Woche von zu Hause aus, während der Junge in der Kita in Singhofen war. Doch all ihre eigenen Probleme stellt die Frau hintenan. „Für mich ist es das Schlimmste, seinen Leidenskampf zu sehen. Er frisst alles in sich rein. Mein Wunsch wäre es, dass sich das reduziert.“
Die Liste der Baustellen und der nötigen Therapien ist lang: Förderung der Sprache, Reduzierung der Aggressivität und Reizüberflutung. Wenn nur eine Therapie zu 5 Prozent anschlagen würde, so die Frau aus Obernhof, wäre das ein Erfolg. „Was wir jetzt alles schaffen, sehe ich als Grundstein für später“, sagt sie und kommt auf die Delfintherapie zu sprechen, die 15 000 Euro kostet, aber Erfolg versprechend scheint. „Wir sehen direkt, dass wir hier helfen können“, versichert Hans Kary. Angelina Bergmann kann ihre Tränen nicht zurückhalten. Manuela Lewentz-Twer fügt hinzu: „Wir können Berge versetzen.“ Die beiden machen der Familie Mut, dass sich der eine oder andere bereit erklärt, zu spenden.
HELFT UNS LEBEN bittet um Spenden für Familie Bergmann. Die Bankverbindung lautet: HELFT UNS LEBEN, Sparkasse Koblenz, IBAN: DE72 5705 0120 0000 0013 13, Betreff: Rico.
Foto: Manuela Lewentz-Twer (links), Vorsitzende von HELFT UNS LEBEN, und Geschäftsführer Hans Kary besuchten Angelina Bergmann und ihren Sohn Rico in Obernhof. Die Vertreter der Hilfsorganisation erkannten schnell: Auch wenn der Vierjährige ein pfiffiger Junge voller Lebensfreude ist, kann die Familie jede Hilfe brauchen. Foto: Rödder