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Martin Berg: Ein Kämpfer, der niemals den Mut verliert

Hackenheim. Wenn man die schier unendliche Krankengeschichte von Martin Berg liest, dann kann man kaum glauben, wie viel Kraft und Mut der 44-Jährige aus Hackenheim bei Bad Kreuznach ausstrahlt. Ein völlig klarer, strukturierter Mann in seinem Rollstuhl, der sich von den zahlreichen Schicksalsschlägen nicht unterkriegen lässt. Berg ist seit seinem fünften Lebensjahr querschnittsgelähmt, die einzigen motorischen Fähigkeiten, die er noch besitzt, kommen aus seinem Ellenbogen. Zur Nacht muss er an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden. Und doch gibt Berg nie auf, sucht immer wieder neue Herausforderungen. „Ich will zeigen, dass nichts in Stein gemeißelt ist“, sagt er.

Bergs Leben – und das seiner Familie – änderte sich an einem Sommertag im Jahr 1981 von einer Sekunde auf die andere. Es war der frühe Abend des 23. Juni. Im Radio läuft „In the Air Tonight“ von Phil Collins, in Deutschland wird über den Nato-Doppelbeschluss diskutiert – und im rheinhessischen Hackenheim macht sich der damals fünfjährige Martin Berg auf seinem Kinderfahrrad mit seiner Mutter vom Friedhof auf den Rückweg nach Hause. Die Bergs wohnen an der Hauptverkehrsstraße der Weinbaugemeinde.

Martin will den Zebrastreifen benutzen, um die Straße zu überqueren. Ein Autofahrer – betrunken, wie sich später herausstellt – übersieht den Jungen und erwischt ihn mit vollem Tempo, schleift ihn meterweit mit, erst die Bremsbewegung gibt den kleinen Körper frei und schleudert ihn durch die Luft. Nur wenige Meter vor der Haustür schlägt er auf.

Seine ältere Schwester Judith, eine von sechs Geschwistern und damals hochschwanger, hört die Schreie und eilt zu Hilfe. Martins Herz hört auf zu schlagen. Dann geht alles blitzschnell, ein Nachbar beginnt mit der Reanimation, ein zufällig vorbeifahrender Arzt der US-Streitkräfte übernimmt die Behandlung, ein Rettungshubschrauber bringt den lebensgefährlich verletzten Jungen in die Mainzer Uniklinik. Dort kämpfen die Ärzte um Martins Leben – fünf Monate lang. Eines ist bereits damals Gewissheit: Martin wird sein Leben lang ein auf Langzeitbeatmung angewiesener Querschnittsgelähmter sein. Für ihn wird nichts mehr, wie es mal war. Ein normales Familienleben ist seitdem undenkbar.

Die nächsten zweieinhalb Jahre verbringt Martin in einer damals neu eröffneten Spezialklinik in Bad Wildungen, dort beginnt sein Kampf zurück ins Leben. Seine Eltern, Friedel und Anita, mühen sich ab, kämpfen wie die Löwen, pendeln Tausende Kilometer, versuchen, ihrem Jungen alles zu ermöglichen. Es wird ein Kampf, der beide, genau wie den Rest der Familie, an die Grenzen der Belastbarkeit führt.

1984 geht es für Martin dann nach Hause – im Gepäck die Eiserne Lunge, die erste maschinelle Beatmungsmaschine. Er besucht die Schule für Menschen mit Körperbehinderungen in Bad Kreuznach. Dort gibt es 1988 dann den nächsten Rückschlag: Nach einem Unfall beim Umlagern verliert Martin all seine zuvor so mühsam antrainierten Fähigkeiten. Die Verbindung zwischen dem ersten und zweiten Halswirbel bricht, die Folge ist eine noch höhere Querschnittslähmung als zuvor, abwärts des Halses bleibt nur noch ein wenig Restgefühl, das aber immerhin noch dazu reicht, den Elektrorollstuhl zu steuern.

Martin lässt sich aber mit dem Rückenwind, den die Familie verleiht, nicht unterkriegen. 1997 schafft er den Abschluss der mittleren Reife, absolviert eine Ausbildung bei der Kreisverwaltung Bad Kreuznach, die ihm aber später wieder kündigt – da er auf ständige Assistenz angewiesen ist, sei der Datenschutz nicht gewährleistet, so lautet die Argumentation der Behörde.

Zu den steten gesundheitlichen Sorgen kommen finanzielle. Nach der Kündigung rutscht er 2004 in die Grundsicherung ab, heute meistert er die kostspielige Versorgung, indem er selbst als Arbeitgeber fungiert. Die Eltern können die Pflege nicht mehr leisten, sie sind nach 40 zehrenden Jahren mit ihren Kräften am Ende. Martins Pflegeteam besteht aus sieben Arbeitskräften, rund um die Uhr braucht er Unterstützung.

Sein größtes Problem: Ihm fehlt ein Auto. „Selbst kann ich es natürlich nicht fahren, aber meine Assistenten“, sagt er. Seine Schwester Judith ist gerade dabei, einen Verein zu gründen, um Spenden zu sammeln. Die Möglichkeiten im Alltag sind ohne Fortbewegungsmittel begrenzt, die Anlässe, mal zu Hause rauszukommen, sind in der Regel nur Arzttermine oder Anwendungen beim Physiotherapeuten. Mit einem für seine Bedürfnisse umgebauten Transporter wäre es auch möglich, sich vielleicht den größten Traum überhaupt zu erfüllen: „In Urlaub fahren“, hofft Martin Berg. So wie 1997, als er gemeinsam mit Vater und Schwester in Kanada war – für Martin eine unvergessliche Zeit.

Wer helfen möchte, kann auf das Konto von HELFT UNS LEBEN (Sparkasse, IBAN DE72 5705 0120 0000 0013 13) spenden.

Foto: Die beiden Hunde (von links) Coco und Yuma sind immer dabei: Martin Berg ist heute 44 Jahre alt und erfährt von seinen Schwestern Judith (2. von rechts) und Domenica viel Unterstützung. Foto: Marian Ristow