Leubsdorf. Es sind nur zwei Zeilen, die Guido Schumacher seiner Krankenkasse schreiben will. Seit Tagen schon. Aber der 51-Jährige bekommt sie einfach nicht hin, kann sie nicht in seinen Rechner tippen. „Spätestens nach zehn Minuten fallen mir die Hände ab“, sagt er. Zehn Minuten für zwei Zeilen? Nein, die reichen eben nicht, wenn man MMN hat.
MMN, das heißt ausgesprochen „Multifokale Motorische Neuropathie“. Ein Name, so sperrig wie die seltene Krankheit unheilbar ist. Kurzgefasst handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, die eine Muskelschwäche an den Extremitäten verursacht. Oder wie Guido Schumacher es auf den Punkt bringt: „95 Prozent meiner Feinmotorik sind weg.“
Seit rund zehn Jahren kämpft er schon mit der Krankheit, richtig schlimm ist es aber erst seit gut einem Jahr. Er erinnert sich noch an einen schönen Weihnachtsurlaub 2015, kurz danach kamen plötzlich Schübe, und es ging bergab. „Innerhalb von drei Monaten konnte ich am Computer nichts mehr machen“, sagt er. Und damit konnte der Mann, der früher in verschiedenen Handwerksberufen tätig war und dann zum Groß- und Außenhandelskaufmann umschulte, auch nicht mehr arbeiten. „Ich bekomme heute eine 125-Gramm-Champignondose gerade noch mit beiden Händen hoch“, erzählt er.
Eine Pflegekraft für den Haushalt hat man ihm zwar zugestanden. Aber sonst? „Eigentlich kann ich nur noch im Bett liegen oder vor dem Fernseher sitzen“, sagt er. Der Kontakt zur Außenwelt
hat sich für den in Scheidung lebenden Mann auf ein Minimum reduziert.
Denn auch um das Haus zu verlassen, fehlt Schumacher die Kraft in Armen und Beinen – beziehungsweise das richtige Hilfsmittel. Einen Rollstuhl hat er, nutzen kann er ihn aber nicht. Zu anstrengend. Selbst bei einem teuren elektrischen Modell, das er nicht hat, würde die Bedienung des Joysticks seine Fingerkraft überfordern. Die Lösung wäre ein Handbike, das wie eine Zugmaschine vor den Rollstuhl geschnallt wird und mit dem Kopf steuerbar ist. Mit einer Reichweite von 80 Kilometern könnte Guido Schumacher dann auch endlich den Rhein nicht mehr nur von seiner kleinen Mietwohnung aus ansehen, sondern an seinem Ufer entlangfahren.
Doch die Krankenkasse will die gut 7700 Euro dafür nicht bezahlen, hat auch seinen Widerspruch abgelehnt. Selbst finanzieren? Utopisch. „Wir können uns natürlich in einen langen Rechtsstreit begeben“, kommentiert Jutta Menningen-Hassinger. Die Sozialpädagogin von der Bethesda-Stiftung betreut Schumacher als Inklusionslotsin und weiß: „In einer solchen Situation muss man sich
gut überlegen, wofür man die verbleibenden Kräfte einsetzt.“
Eben deshalb hat sie sich – erstmals – an HELFT UNS LEBEN (HUL), die Leser-Spendeninitiative unserer Zeitung, gewandt. „Als ich Guido Schumacher kennengelernt habe, hatte er so viel Energie. Und er hat solch eine Steh-auf-Mentalität, dass er einfach Hilfe verdient, um wieder am Leben teilhaben zu können“, begründet sie ihren Antrag.
Und Hilfe soll der Leubsdorfer bekommen. Manuela Lewentz-Twer und Hans Kary vom HULVorstand zeigten sich nach einem Besuch bei ihm zu Hause tief beeindruckt vom Schicksal des 51-
Jährigen – aber auch von dessen Lebensmut. Deshalb sagten sie die Erfüllung seines dringlichsten Wunsches zu. Für rund 3500 Euro wird der Hilfsverein eine spezielle Sprachsoftware für den Laptop bezahlen, die Schumacher während eines Reha-Aufenthaltes schon getestet und für gut befunden hat.
„Damit gehen für mich Türen auf, das glauben Sie gar nicht. Vielleicht kann ich damit sogar wieder ein paar Stunden arbeiten“, freut sich der 51-Jährige und ist nahezu sprachlos, dass Hilfe auch einmal so handfest und unbürokratisch möglich ist. „Mit der Software retten Sie mir mein Leben“, meint er beim Termin gar mit Tränen in den Augen.
Ganz so hoch will es Manuela Lewentz-Twer zwar nicht hängen, aber auch die 2. Vorsitzende von HELFT UNS LEBEN freut sich sichtlich über die riesige Freude in Schumachers Gesicht mit. „Es geht für Sie jetzt wieder ein bisschen bergauf. Das soll ein erster Schritt sein, damit Sie wieder am Leben teilnehmen können“, sagt Manuela Lewentz-Twer.
Der zweite Schritt wäre das Handbike, für dessen Anschaffung HUL um Spenden bittet. Und Hans Kary ist optimistisch, dass auch das klappt. „Ich bin zuversichtlich, dass wir mit der Hilfe unserer Leser dafür sorgen können, dass Sie wieder nach draußen kommen“, sagt er.
Foto: Guido Schumacher vor seinem Rechner, den er dank einer speziellen Sprachsoftware künftig wieder benutzen kann. Manuela Lewentz-Twer (Mitte) und Hans Kary vom HUL-Vorstand rufen darüber hinaus zu Spenden für ein Handbike auf, das auch nach Meinung von Betreuerin Jutta Menningen-Hassinger eine unheimliche Lebenshilfe wäre. Foto: Ulf Steffenfauseweh