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Eine Familie steht vor dem Nichts

Algenroth/Rhein-Lahn. Nur noch wenige Tage bis Weihnachten. Weihnachten – das hatte sie sich anders vorgestellt. Ein geschmückter Tannenbaum, gemütlich feiern mit ihren beiden Töchtern, durchatmen nach einem Jahr, das nicht so ganz leicht war. Ruhe finden in ihrem Zuhause, dem kleinen Fachwerkhaus in der 80-Seelen-Gemeinde Algenroth im Rhein-Lahn-Kreis, wo sie seit einigen Jahren lebt. Aus all dem wird nichts. Sandra Hojczyk steht vor einem zwei Meter hohen Berg verkohlter Trümmer, der einmal ihr Haus war. In der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember brannte es total nieder. Sandra Hojczyk und ihre Kinder stehen vor dem Nichts.

Dass sie trotzdem ab und zu lächeln kann, als sie in ihrer geliehenen Winterjacke, den Stiefeln ihrer Nachbarin und mit dem geborgten Handy in der Hand ihre Geschichte erzählt, liegt daran, dass sie aus ihrem Dorf so viel Hilfe und Unterstützung erfahren hat. „An dem Morgen, als das Haus abbrannte, konnte ich das alles nicht fassen. Ich dachte nur noch, dass ich das Grundstück verkaufe und hier fortgehe“, erinnert sie sich. „Die Nachbarn aus dem Dorf aber haben mich durch diese Katastrophe getragen, mir Mut gemacht und gesagt: ,Sandra, wir wollen, dass du hier bleibst.‘ Dafür bin ich ihnen allen so unendlich dankbar.“

Rückblick: In der Nacht zum 7. Dezember wacht Sandra kurz nach 7 Uhr auf, weil sie Rauchgeruch in der Nase hat. „Ich stand auf. Und dann sah ich einen hell orangen Feuerschein. Die Scheune hinter dem Haus stand in Flammen. Und das Feuer griff ganz schnell auf das Wohnhaus über.“ Eine schreckliche Szenerie. Die 49-Jährige weckt ihre 19-jährige Tochter – die 15-jährige Schwester übernachtet zum Glück bei einer Freundin –, ruft nach ihrem Hund und den vier Katzen, die zur Familie gehören, und flüchtet aus dem Haus. Ihren beiden Pferden, die ihren Unterstand unweit der brennenden Scheune haben, gilt die nächste Sorge. Die beiden Frauen können sie unversehrt zu einer nahe gelegenen Weide bringen, sodass sie in Sicherheit sind. Dann aber gibt es nichts mehr, was sie noch tun können. Hilflos muss Sandra zuschauen, wie alles, was sie und ihre Töchter je besessen haben, in Flammen aufgeht.

Nachbarn hatten den Brand bemerkt und bereits die Feuerwehr alarmiert, die mit rund 100 Einsatzkräften aus der gesamten Umgebung anrückten. Bei deren Eintreffen stand die Scheune bereits in Vollbrand, die Flammen hatten aufs Wohnhaus übergegriffen. Knisterndes Gebälk, berstende Fensterscheiben, einstürzende Zimmerdecken. Keine Chance, das Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert zu retten. Die Feuerwehr hatte die Baufirma Kaspar aus dem nahen Oelberg um technische Unterstützung gebeten. Mit einem Bagger schob Christoph Kaspar einstürzende Holzteile beiseite oder sorgte dafür, dass die umliegenden Gebäude nicht auch noch von den Flammen erfasst wurden. Er sah Sandra Hojczyk dort stehen vor den Trümmern.

„Irgendwann kam er zu mir und sagte, er habe etwas für mich“, sagt Sandra. „Er war mehrmals noch in unser Haus gegangen und hatte versucht, noch etwas zu retten. Er brachte mir das Akkordeon meines Vaters“, sagt sie und kann ihre Tränen nicht unterdrücken. „Das war das Schönste, was er hatte mitbringen können.“ Denn ihr Vater war erst im Jahr zuvor verstorben. Sein Akkordeon ist eine wertvolle Erinnerung an ihn. Auch eine Handtasche, ein paar Papiere und ein paar Fotos holte Christoph Kaspar noch heraus. Dann aber war nichts mehr zu retten. Flammen und Löschwasser verwandelten letztlich alles, was die Familie Hojczyk besessen hatte, in einen großen Trümmerberg. Nur bei genauem Hinschauen entdeckt man ein angekohltes Notenblatt oder die geborstenen Reste eines großen Holzregals, in dem Hunderte von Büchern standen, an dem auch Sandras Gitarre lehnte. Eine ihrer Katzen streift immer wieder umher in der kleinen Dorfstraße, setzt sich an den Rand des Trümmerberges, schaut und scheint die Welt nicht zu verstehen.

Wie geht es weiter? Sandra lächelt schwach. „Wir haben es alle überlebt, es ist niemandem etwas passiert. Und das ist eigentlich auch ein großes Glück“, sagt sie, die so dankbar ist, für all die Hilfe, die ihr bisher zuteilwurde. Aktuell wohnen sie und ihre Töchter bei ihrem geschiedenen Mann, der sie wie selbstverständlich aufgenommen hat. Auch wenn es nur ein Zweizimmerferienhaus ist, in dem er lebt. Also keine Lösung auf Dauer. Sandra und ihre Töchter brauchen zuallererst eine neue Wohnung, ein neues Zuhause. Aktuell gibt es die Option für eine Wohnung in einem Nachbarort. Aber auch wenn es klappt – es gibt keine Möbel, keine Betten, keine Kleidung. Alles ist verbrannt. Auch die Unterlagen der Versicherungen sind weg.

Noch einmal ist Christoph Kaspar aktiv geworden. Denn das Schicksal der Familie hat ihn nicht mehr losgelassen. Er meldete sich bei HELFT UNS LEBEN, der Hilfsorganisation unserer Zeitung. Ganz spontan haben sich die Vorsitzende Manuela Lewentz-Twer und Geschäftsführer Hans Kary auf dem Weg nach Algenroth gemacht und Sandra Hojczyk getroffen. Für Manuela Lewentz-Twer war schnell klar: „Es fehlt an allem. Hier wollen wir ganz schnell und unbürokratisch helfen.“ Sie und Kary sagten ihre Unterstützung zu. Und vielleicht gibt es für Sandra und ihre Töchter ja doch noch ein bisschen Weihnachten.

Wer helfen möchte, kann auf das Konto von HELFT UNS LEBEN (Sparkasse, IBAN DE72 5705 0120 0000 0013 13) mit dem Stichwort „Hilfe für Familie Hojczyk“ spenden.

Foto: Sandra Hojczyk (Mitte) steht vor dem Nichts. Nach einem Brand liegt ihr Haus in Trümmern. Hans Kary und Manuela Lewentz-Twer (von links) von HELFT UNS LEBEN besuchten sie in Algenroth und sagten schnelle Hilfe zu. Christoph Kaspar aus Oelsberg und seine Tochter Anja Kalika (von rechts) hatten der Hilfsorganisation unserer Zeitung von der Not der Familie berichtet. Foto: Karin Kring