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Dieses Geschenk ist einfach unbezahlbar

Dausenau. „Ich glaube, dieses Mal werden die Spielsachen total nebensächlich sein“, mutmaßt Tanja Lichius – und dürfte damit zu 100 Prozent richtig liegen. Denn für die Kinder und Jugendlichen des Sozialpädagogischen Hauses Waldesruh in Dausenau, dessen Leiterin sie ist, zählt in diesem bizarren, von Corona gebeutelten Jahr an Weihnachten vor allem eines: zumindest eine Zeit lang mit den Eltern zusammen zu sein.Umso mehr, als lange unklar war, ob dies überhaupt möglich wäre. „Sie werden nicht glauben, in was für glückliche Kindergesichter ich geschaut habe“, beschreibt Tanja Lichius den Moment, in dem bekannt wurde, dass die Regeln des zweiten harten Lockdowns solche Kontakte zulassen würden, und fügt hinzu: „Direkt nach der Ministerpräsidentenkonferenz habe ich die Eltern angerufen und durchs Telefon regelrecht ihre Freudentränen gespürt.

“Ein echtes Weihnachtsgeschenk also, das unbezahlbar ist und viel mehr wiegt als das angesagteste Handy oder die coolste Playstation. Aber auch ein ziemlich hart erarbeitetes Weihnachtsgeschenk: „Um das Corona-Risiko so gering wie möglich zu halten, hat es bei uns bereits seit dem Beginn des Teil-Lockdowns Anfang November keine Elternkontakte und keine Teilnahme an Vereinsangeboten mehr gegeben “, berichtet Tanja Lichius, die sich die Aufgaben der Heimleitung mit ihrem Bruder Mike Lichius teilt. „Er kümmert sich um die Verwaltung und die technischen Dinge, während ich für die pädagogische Leitung zuständig bin“, erläutert sie.

Apropos keine Kontakte: Die beiden Geschwister sind sich darin einig, dass den Eltern der in der Einrichtung betreuten Kinder und Jugendlichen in diesem Zusammenhang ein dickes Lob gebührt: „Obwohl sie das Recht gehabt hätten, ihre Kinder zu sehen, haben sie gesagt: ‚Es fällt uns zwar schwer, aber damit wir dann an Weihnachten mit ihnen zusammen sein können, tragen wir diese Regelung mit.’“ So fahren jetzt also einige der Kinder an Weihnachten nach Hause, bei anderen kommen die Eltern zu Besuch nach Dausenau. Logisch, dass das Einhalten der Corona-Hygieneregeln dabei oberste Priorität besitzt. Unter anderem wird der für die maximal zweistündigen Treffen vorgesehene Raum nach jedem Besuch gründlich gelüftet und desinfiziert.

Und wie wird das Weihnachtsfest in „der Waldesruh“ im Corona-Jahr 2020 sonst so über die Bühne gehen? „Eigentlich wie immer“, antwortet Tanja Lichius: „Wir essen gemeinsam, und anschließend ist Bescherung.“ Nur der Besuch der Kinder-Christmette falle notgedrungen aus: „Außerdem kann nicht wie sonst üblich die Jugendfeuerwehr hierher kommen. Aber für die haben wir uns dieses Jahr etwas Besonderes ausgedacht.“Schließlich haben Tanja und Mike Lichius mit ihren rund 30 Mitarbeitern reichlich Erfahrung darin, flexibel auf alle möglichen Eventualitäten zu reagieren. Oder wie Mike Lichius es formuliert: „Hier kann es immer sein, dass etwas Unvorhergesehenes passiert.“ 30 jungen Menschen im Alter von drei bis 20 Jahren bietet „die Waldesruh“ aktuell ein Zuhause – 30 jungen Menschen, die meist vom Jugendamt hier untergebracht wurden, weil sie aus schwierigen familiären Verhältnissen stammen und ihre Eltern aus den unterschiedlichsten Gründen nicht für sie sorgen können. Die Lichius-Geschwister und ihr Team bieten ihnen eine Ersatzfamilie – und damit eine wichtige Basis für einen erfolgreichen Start ins Leben.

Nicht zuletzt auch in krisengeschüttelten Zeiten wie diesen: Im ersten Lockdown im Frühjahr, als sich die Kontakte nach draußen auf Videochats, Telefonate, Briefe und Pakete beschränkten, habe man mit den Kindern viel gebastelt und gespielt, sei Rad und Kickroller gefahren, habe Picknicks veranstaltet und vieles mehr, erzählt Tanja Lichius: „Es war eine intensive Zeit, in der die Kinder noch einmal einen ganz anderen Bezug zu uns bekommen haben.“ Besonders in dieser Phase war das weitläufige Freigelände der Einrichtung von großem Vorteil. Aber auch der kurz vor dem Lockdown fertig gewordene, von HELFT UNS LEBEN, der Initiative der Rhein-Zeitung für Menschen in Not, finanzierte Toberaum, wie Mike Lichius hinzufügt: „Auch andere Spender, seien es Firmen oder Privatpersonen, haben uns mit Laptops, Spielgeräten und vielem mehr unterstützt.“Trotzdem sah sich auch die Waldesruh bereits im ersten Lockdown vor gewaltige Herausforderungen gestellt. Keine Ausflüge und Ferienfreizeiten, kein Sport im Verein und keine Geburtstagsfeiern mit Gästen von außerhalb – da war schon einiges an Bereitschaft zum Verzicht gefragt. Dazu kam das unangenehme Erlebnis, im Supermarkt schräg angeschaut zu werden, wenn man für 30 Personen zwangsläufig mehr als nur einen Zweier-Pack Toilettenpapier in den Einkaufswagen lud, oder sich mit der von Passanten alarmierten Polizei konfrontiert zu sehen, wenn es mal in einer großen Gruppe zum Spaziergang ging.

Dass sie bisher alle Widrigkeiten problemlos gemeistert haben, sei nicht zuletzt ihren Mitarbeitern zu verdanken, betonen Tanja und Mike Lichius. „Die stecken da ganz viel Herzblut hinein“, sagen sie – und bringen damit unausgesprochen auch ihre eigene Einstellung auf den Punkt. Von der Großmutter gegründet, später unter der Leitung ihrer Mutter und Tante, ist die Waldesruh, die sie nun bereits in der dritten Generation weiterführen, schon immer ihr Lebensmittelpunkt gewesen. Ob sie angesichts der deutlich steigenden Infektionszahlen nicht Angst um ihre eigene Gesundheit haben? „Nein, wir müssen ja auch sonst grundsätzlich immer damit rechnen, dass Krankheiten eingeschleppt werden. Wenn wir da vor allem Angst hätten, könnten wir nicht mehr arbeiten“, antwortet Tanja Lichius, während ihr Bruder hinterherschickt: „Da haben wir uns noch nie Gedanken darüber gemacht. Unsere erste Frage ist immer, wie wir helfen können – und das machen wir dann eben einfach.“„Seit dem Beginn des Teil-Lockdowns Anfang November hat es keine Elternkontakte und keine Teilnahme an Vereinsangeboten mehr gegeben.

Foto: Von harten Zeiten berichtet Tanja Lichius. Foto: Ulrike Bletzer