Neuwied. Im Februar war es fast vorbei. Frank Zimmermann wollte nicht mehr. Der schwer von der Muskelkrankheit ALS gezeichnete Neuwieder lag im Krankenhaus und hatte trotz aller Angst vor dem Sterben beschlossen, dass die Beatmungsmaschine abgestellt wird. Das bürokratische Prozedere war eingeleitet, an der Wand hing ein Abschiedsbrief seines Sohnes: „Ich hoffe, du wirst im Himmel wieder gesund. Du bist der beste Papa der Welt, Welt, Welt …“, hatte der damals siebenjährige Max geschrieben – und damit den entscheidenden Anteil geleistet, dass sein Vater doch noch einmal umdachte. „Der Brief geht mir nicht aus dem Kopf, ich möchte ihn noch ein bisschen aufwachsen sehen“, hatte er nach ein paar Tagen des Zweifelns zu seinen Freunden gesagt, die am Krankenbett saßen und ihm Mut zusprachen, dass er doch bitte bleiben soll.
Dank ihnen und der Unterstützung der RZ-Leser-Spendeninitiative HELFT UNS LEBEN konnte immerhin eine große Sorge vorläufig genommen werden. Denn die Wohnung, in der der 43-Jährige auf dem Heddesdorfer Berg lebt, ist eigentlich zu groß und damit zu teuer für das Geld, das ihm zur Verfügung steht – und das er aus eigener Kraft nicht vermehren kann. An Arbeit ist schließlich nicht zu denken. Denn seit der ALS-Diagnose 2009 ist der körperliche Verfall des früher sportlich-fitten jungen Mannes rapide. Frank Zimmermann sitzt heute im Rollstuhl, bewegen kann er ihn so eben noch mit den Füßen – und ist dabei froh, nicht immer an Ecken anzustoßen, weil ihm die Wohnung einen gewissen Bewegungsspielraum bietet. Dort ausziehen zu müssen: eine Horrorvorstellung. Zumal Max direkt um die Ecke wohnt und es kräftig nutzt, dass er „mal eben rüberkommen“ kann.
Das Zuhause halten zu können, war – und ist – aber nur eine der Sorgen. Eine große andere ist die Pflegesituation. Denn Frank Zimmermann ist aufgrund der Beatmung auf eine 24-Stunden-RundumBetreuung angewiesen – und hat damit teilweise sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Mittlerweile hat er auf das sogenannte Arbeitgebermodell umgestellt, und es läuft besser. Der Unterschied ist, dass nicht mehr die Krankenkasse einen Pflegedienst engagiert, sondern ihm ein persönliches Budget zur Verfügung stellt, mit dem er selbst einstellen kann. Er hat so ein Team aufbauen können, das gut harmoniert – allerdings nicht vollständig ist. Er sucht dringend noch eine Teil- oder Vollzeitkraft, die mit einsteigt. „Der Verdienst ist gut, die Zuschläge sind super“, weiß Yvonne Butter, die als gelernte Krankenschwester zum Team gehört. Ein Kranken- oder Altenpfleger wäre ideal, erzählt sie. Aber auch Leute mit anderer medizinisch-pflegerischer Erfahrung wie Rettungsassistenten könnten Frank helfen, weiter am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.
Denn aktiv ist der 43-Jährige weiterhin. Oft ist er am Platz, wenn der Neuwieder HSV kickt, bei dem auch sein Sohn in der F-Jugend spielt. Oder er trifft sich mit Freunden auf ein Bierchen. Trinken kann er das zwar nicht mehr selbst, sich aber die Flüssigkeit über den Ernährungskanal in den Bauch spritzen lassen. „Ich weiß ja, wie es schmeckt. Und die Wirkung ist noch die gleiche“, lässt er seinen augengesteuerten Sprachcomputer sagen und lächelt dazu. Gesichtsmimik ist ihm geblieben.
Aber auch der Sprachcomputer macht in jüngster Zeit immer mehr Zicken, fällt häufiger mal aus. „Dann hänge ich in der Luft, und wir müssen hier mit der Buchstabentafel kämpfen“, erzählt Frank und bedauert, dass die Krankenkasse ein Zweitgerät für rund 3000 Euro nicht bezahlen will. „Vielleicht findet sich dafür ja ein Sponsor“, hofft er.
Noch wichtiger hingegen wäre, wenn die Krankenkasse seinem Antrag auf einen neuen Rollstuhl zustimmen würde. Denn im aktuellen Modell mit Autositz schmerzt ihm nach zwei bis drei Stunden der Po. Einen möglichen neuen Stuhl hat er kürzlich getestet und war begeistert. „Der wäre ein Traum“, sagt er und zählt mehrere technische Eigenschaften auf, die ihm sehr helfen würden. „Der jetzige Rolli ist einfach nicht mehr zeitgemäß, der neue würde sich seinem Gesundheitsverlauf anpassen“, findet auch Yvonne Butter und schätzt die Chancen, dass die Kasse Ja sagt, auf 50 zu 50. „Wir hoffen“, sagt sie. Denn er wäre so wichtig, damit Frank noch ein bisschen selbstbestimmt leben kann – gerade jetzt, wo er sich aufgerappelt hat und weiter kämpft.