Neuwied. Mia will leben. Das sieht man, und das, so erzählt ihre Mutter, habe auch der Arzt am Aachener Universitätsklinikum sofort gesagt, als er sie zum ersten Mal sah. Als es um die Frage ging, ob sich das Wagnis einer Operation am Herzen des Babys überhaupt lohnt. Mia will leben. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Bei Mia hingegen ist es ein kleines Wunder. Ihre Eltern setzten sich mit dem Tod auseinander, da war ihr Kind noch nicht einmal auf der Welt. „Wir haben uns die ganze Schwangerschaft über mit dem Sterben beschäftigt“, sagt die Mutter.
Es ist kurz vor Weihnachten 2019, als Melanie Skora bei der Pränataldiagnostik die erschütternde Diagnose erhält: Das Mädchen in ihrem Bauch hat Trisomie 18, eine schwere Entwicklungsstörung. Das sogenannte Edwards-Syndrom ist keinesfalls zu vergleichen mit dem Down-Syndrom. Das ist nur wesentlich bekannter – ganz einfach weil Menschen mit Trisomie 21 gut leben können. Ist jedoch das 18. Chromosom dreifach angelegt, hat das weit fatalere Konsequenzen.
„95 Prozent der Kinder werden abgetrieben oder sterben noch im Mutterleib. Und von den verbleibenden 5 Prozent sterben 95 Prozent in den ersten Tagen“, weiß Mias Vater Manuel. Und häufig sehen die Kinder, wenn sie überhaupt geboren werden, zudem noch entstellt aus. „Schauen Sie bloß nicht im Internet nach“, rät Mutter Melanie. „Es ist furchtbar.
“Doch nicht nur „Dr. Google“, auch die realen Ärzte geben düstere Prognosen für Mia. „Sie wird nicht bis zur Geburt leben“, befürchtet einer. „Sie werden Ihr Kind nicht mit nach Hause nehmen können“, ein anderer. Und ein dritter rät den Eltern vorsichtig, schon mal einen Termin beim Bestatter zu machen. „Wir hatten den Sarg ausgesucht und einen Baum auf dem Waldfriedhof für sie reserviert“, erzählt Melanie Skora.
Doch trotz all der Hiobsbotschaften und der schrecklichen Bilder im Internet sind sich die werdenden Eltern einig, dass sie ihr Kind nicht abtreiben lassen wollen. „Mia soll selbst entscheiden, wie weit ihr Weg geht“, sagen sie. Und Mia will leben – offensichtlich. Sie übersteht die Geburt, die palliativ durchgeführt wird – da hat man ihnen gar keine Wahl gegeben – trotz Beckenendlage. Mit 2,3 Kilogramm Gewicht kommt Mia sogar leicht, aber nicht besonders schwächlich auf die Welt. Und sie kann atmen, schlucken, brabbeln – extrem viel, im Vergleich mit anderen Trisomie-18-Kindern. „Sie ist neugierig, aufgeweckt, eigentlich ein zufriedenes Kind“, sagt Melanie Skora heute, ein knappes Jahr später, und bezieht das vor allem auf die Zeit nach ihrer Herzoperation im Oktober.
Doch bis zu der dauert es. Zunächst wagt kein Mediziner den Eingriff. Mia hat derweil immer wieder Atemaussetzer. Ihr Herz hat ein großes Loch und schlägt teilweise nur 40-mal in der Minute. Eine Frequenz von 160 gilt bei Neugeborenen als normal. „Wir haben alle zwei Wochen um ihr Leben gekämpft. Ich weiß nicht, wie oft ich die Kinderkrankenschwester angerufen und gesagt habe: ,Ich glaube, jetzt ist es so weit’“, erinnert sich die Mutter.
Dann wendet sich ihr Kinderkardiologe auch an überregionale Krankenhäuser. Mia wird am Universitätsklinikum in Aachen vorgestellt. Die Professoren Gunter Kerst und Jaime Vázquez-Jiménez wagen die Operation. Es gelingt ihnen, den großen Kammerscheidewanddefekt zu schließen – und wieder übersteht Mai den Eingriff überraschend gut. Schon einen Monat später können die Ernährungssonden gezogen werden, sie fängt an zu greifen, versucht mittlerweile sogar zu stehen, auch wenn das mangels Muskelmasse nicht klappt. „Aber sie macht sich“, freut sich die Mutter.
Gesund ist ihre Tochter deshalb nicht, und sie wird es nie werden. Die Lebenserwartung bleibt gering. Das wissen Melanie und Manuel Skora. „Es kann immer noch jeden Moment so weit sein“, ist sie sich bewusst und erzählt, dass ihr Mann der Optimist in der Familie ist. Der, der über künftige Geburtstage scherzt und sich daran aufbaut, dass in der Internetgruppe mit Eltern von Trisomie-18-Kindern kürzlich ein Mädchen volljährig geworden ist und sogar laufen kann. „Aber es sind viele, die es nicht geschafft haben“, weiß die Mutter und wiederholt, dass Mia selbst entscheiden soll, wie weit ihr Weg geht.Die Eltern wollen sie dabei aber natürlich, so gut es geht, unterstützen. Weitere Operationen wollen sie nicht, trotzdem muss das Kind regelmäßig zu Therapien und Untersuchungen – auch nach Aachen. Und da beginnt ein ganz anderes, eigentlich profanes Problem: Das Auto der Familie, zu der auch Melanies großer Sohn Robin (10) gehört, ist alt und muss im April zum TÜV. „Den wird er nicht überstehen“, ist sie sicher. Und dann?
Einen neuen Wagen kann sich die junge Familie nicht leisten. Denn das kleine, alte Häuschen, das sie im Neuwieder Stadtteil Oberbieber günstig erstanden haben, gehört zwar ihnen, hat aber reichlich Sanierungsstau. Und Geld zu verdienen, ist aktuell schwierig. Mia braucht eine 24-Stunden-Betreuung, Manuel kann als Taekwondo-Trainer in der Pandemie ohnehin nicht arbeiten. Und Melanie, die eigentlich bald wieder Vollzeit im medizinischen Bereich arbeiten wollte, ist noch einmal schwanger. In rund drei Monaten soll das Kind zur Welt kommen – hoffentlich so gesund, wie es nach den allen bisherigen Untersuchungen aussieht.
Wer Familie Skora unterstützen möchte, kann Geld auf das Konto von HELFT UNS LEBEN, der Leser-Spenden-Initiative unserer Zeitung, bei der Sparkasse Koblenz (BIC: MALADE51KOB) überweisen: IBAN: DE72 5705 0120 0000 0013 13.
Foto: Melanie Skora mit ihrer zehnmonatigen Tochter: Im Vergleich mit anderen Babys ihres Alters ist sie zwar deutlich zurück, macht sich für ein Trisomie-18-Kind aber sehr gut. Mia will leben. Foto: Ulf Steffenfauseweh