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Wenn Schicksalsschläge Armut verursachen

Montabaur. Wenn die 33-jährige Amelie aus Hachenburg ihre Wohnung in der Innenstadt verlassen möchte, benötigt sie Hilfe. Die alleinerziehende Mutter ist aufgrund einer MS-Erkrankung auf den Rollstuhl angewiesen. Ihr Vater trägt sie regelmäßig die Treppe hinauf und hinab. Für einen Lift reichte bislang das Geld nicht.

Auf den ersten Blick mag Amelies Situation wie ein tragischer Einzelfall wirken. Doch ähnliche Schicksale gibt es nahezu in jedem Ort, haben Manuela Lewentz-Twer und Hans Kary erfahren müssen. Im Auftrag von HELFT UNS LEBEN, der Initiative unserer Zeitung, sind die Vorsitzende und der Geschäftsführer regelmäßig im nördlichen Rheinland-Pfalz unterwegs, um Menschen zu besuchen, die Probleme haben, ihren Alltag zu meistern. Mal fehlt ein Fahrzeug, in dem ein erkranktes Familienmitglied sicher transportiert werden kann. Mal reichen die Mittel für eine teure Therapie nicht aus. Mal kann der behindertengerechte Umbau einer Wohnung nicht ohne Hilfe finanziert werden. In Amelies Fall wurde dringend ein Treppenlift gebraucht.

Am Landesmusikgymnasium in Montabaur stellten Lewentz-Twer und Kary ihre Arbeit nun einem Sozialkundekurs der Jahrgangsstufe 11 vor. Die Jugendlichen beschäftigen sich auf Anleitung ihres Lehrers Claus Peter Beuttenmüller derzeit im Unterricht mit dem Thema Armut. Dass es diese auch in einem reichen Land wie Deutschland gibt, war den Mädchen und Jungen zwar nicht neu. Dass womöglich sogar in der eigenen Nachbarschaft Menschen wohnen, denen vermeintlich Alltägliches zum Leben fehlt, war für einige jedoch eine durchaus überraschende Erkenntnis.

Manuela Lewentz-Twer und Hans Kary sind drei Tage pro Woche für HUL unterwegs. Sie engagieren sich ehrenamtlich, um die Spendengelder unserer Leser zu den Menschen zu bringen, die sie dringend brauchen. „Wir haben keine Verwaltungskosten. Bei uns kommt jeder Cent an“, machte Lewentz-Twer im Gespräch mit den Schülern deutlich. Etwa 30 Anträge bearbeitet das HUL-Team jeden Monat.

„Doch warum hilft in solchen Fällen nicht einfach der Staat oder eine Krankenkasse?“, wollten die Schüler wissen. Eine Frage, die sich pauschal nicht ohne Weiteres beantworten lässt, machte Hans Kary klar. Bei den Menschen, die HUL betreut, kommen oft mehrere Schicksalsschläge zusammen. Wenn die Betroffenen ohnehin nicht viel Geld haben und dann noch eine Krankheit eintritt oder ein Unfall passiert, reichen die Pauschalbeträge der Sozialkassen oftmals nicht mehr aus. Die Fälle sind so unterschiedlich, dass man sie nicht einfach mit einem Gesetz regeln kann, verdeutlichten die HUL-Experten. Der Staat müsse zwar strukturelle Armut bekämpfen, so der Geschäftsführer weiter, aber es werde auch in Zukunft immer wieder Menschen geben, die aus unterschiedlichen Gründen auf zusätzliche Hilfen angewiesen sind.

Über den Kontakt zu HELFT UNS LEBEN werden dabei nicht nur finanzielle Notlagen beseitigt. Die öffentliche Aufmerksamkeit verbessert oftmals auch die Integration der Betroffenen. Nachbarn oder Mitbürger aus dem gleichen Ort haben manchmal Hemmungen, Menschen nach einem Schicksalsschlag persönlich anzusprechen und ihre Hilfe anzubieten. Das ändert sich durch die Berichterstattung in unserer Zeitung mitunter schlagartig. Wenn es den Betroffenen am Ende besser geht, weil ihr alltägliches Leben etwas leichter geworden ist, nehmen auch Lewentz-Twer und Kary etwas mit. „Unser Lohn ist die Freude, die wir empfinden, wenn wir jemandem geholfen haben“, lautete das Fazit der HUL-Vorsitzenden.

Foto: Manuela Lewentz-Twer und Hans Kary stellten im Montabaurer Landesmusikgymnasium die Arbeit der Initiative HELFT UNS LEBEN vor. Foto: Thorsten Ferdinand